Klarnamen oder Pseudonym? Plattformen wie Facebook müssen Nutzern die Wahl lassen

Darf ein Socialmedia-Anbieter von Nutzern verlangen, sein Netzwerk ausschließlich unter Nennungen des wahren Namens zu nutzen (= Klarnamenpflicht)? Oder dürfen Socialmedia-Nutzer frei entscheiden, ob sie im Netzwerk unter einem Pseudonym auftreten? Facebook regelt in seinen Nutzungsbedingungen die Klarnamenpflicht. Das TTDSG (und vorher auch schon das TMG) regeln aber eigentlich, dass eine Nutzung unter Pseudonymen möglich sein muss. Der BGH hat sich für eine Zweiteilung ausgesprochen: Nutzer dürfen unter Pseudonym auf einer Plattform auftreten. Nur intern muss ggü. dem Plattformbetreiber – hier Facebook bzw. Meta – der richtige Name genannt werden. 

Seit langem wird über die Zulässigkeit der Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken diskutiert. Hinter der Diskussion steht die Frage, wie dem Problem der „Hass-Kriminalität“ im Netz begegnet werden soll (dazu später mehr). Das Urteil des BGH vom 27.01.2022 (Az. III ZR 3/21 und III ZR 4/21; Pressemitteilung hier abrufbarEntscheidungsgründe inzwischen hier abrufbar) hat nun für die Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO am 25.05.2018 geklärt: Nutzern, die sich vor diesem Zeitpunkt bei Facebook angemeldet haben, muss Facebook ermöglichen, seine Dienste unter Verwendung eines Pseudonyms zu nutzen. Zwar seien Nutzer dazu verpflichtet, gegenüber Facebook ihren richtigen Namen anzugeben. Facebook sei es jedoch zumutbar, zuzulassen, dass seine Nutzer im Netzwerk anonym auftreten können. Aus der Entscheidung können auch Hinweise zur aktuellen Rechtslage unter der DSGVO, also für alle Neuanmeldungen, abgeleitet werden. 

Sachverhalt

Geklagt hatten Facebook-Nutzer, die sich unter Verwendung eines Pseudonyms bei Facebook angemeldet hatten. Ihre Profile wurden von Facebook gesperrt, nachdem Facebook die Verwendung der Pseudonyme bekannt geworden war. Facebook begründete die Sperrung mit ihren AGB, in denen Nutzer zur Angabe ihres wahren bzw. im täglichen Leben verwendeten Namens verpflichtet werden. Die betroffenen Nutzer klagten gegen Facebook. Ihrer Ansicht nach sei die AGB-Klausel rechtswidrig und damit unwirksam. In 1. und 2. Instanz unterlagen die Kläger im Wesentlichen. Lediglich das LG Ingolstadt entschied in erster Instanz zugunsten der dortigen Klägerin und verurteilte Facebook dazu, ihr Nutzerkonto frei zuschalten und ihr unbeschränkt Zugriff auf die Funktionen des Kontos zu gewähren, auch unter Pseudonym (Urt. v. 13.09.2019, 31 O 227/18). In der Berufungsinstanz änderte jedoch das OLG München das Urteil des Landgerichts und wies die Klage im vollem Umfang ab (Urt. v. 08.12.2020 – 18 U 2822/19 Pre).

Entscheidung des BGH

Nun entschied der BGH zugunsten der Kläger: Facebook muss ihnen ein Auftreten unter Pseudonymen erlauben. Worauf kam es dem BGH inhaltlich an? Die Verpflichtung des Kontoinhabers, im Netzwerk den Namen zu verwenden, den sie bzw. er auch im täglichen Leben verwendet, benachteilige den Nutzer entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen  (§ 307 Abs. 1 BGB). Ob es sich bei § 13 Abs. 6 S. 1 S. 1 TMG a.F. und jetzt § 19 Abs. 2 TTDSG auch um eine Verbotsnorm nach § 134 BGB handelt und die Facebook-AGB zur Klarnamenpflicht bereits aus diesem Grund nichtig sind, hat der Senat in seiner Entscheidung offengelassen.

Eine Klarnamenpflicht-AGB sei nämlich jedenfalls mit dem in § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. – jetzt § 19 Abs. 2 TTDSG – zum Ausdruck kommenden Gedanken, dass der Dienstanbieter die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym ermöglichen muss, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, nicht vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Zwar sei es Facebook nicht zumutbar gewesen, gänzlich auf die Angabe des wahren Namens im Rahmen der Registrierung zu verzichten. Jedoch sei es zumutbar, dass die Nutzung der Dienste unter Verwendung eines Pseudonyms ermöglicht wird. Dabei würdigte der BGH die wechselseitigen Interessen auch unter Beachtung des Datenschutzrechts und wog sie miteinander ab.

Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf die heutige Rechtslage?

Ob die Unwirksamkeit von Klarnamenpflicht-AGB auch unter der heutigen Rechtslage mit DSGVO und TTDSG gleichermaßen gilt, hatte der BGH dabei nicht zu entscheiden. Für die Beurteilung der Wirksamkeit der AGB ist nämlich auf den Zeitpunkt der Registrierung auf Facebook abzustellen. Da die Registrierung der Kläger in beiden entschiedenen Fällen vor Inkrafttreten der DSGVO am 25.05.2018 erfolgte, kam es auf die Vereinbarkeit der Klarnamenpflicht-AGB mit den Vorgaben der DSGVO nicht an. Das TTDSG ist erst am 01.12.2021 in Kraft getreten und damit ebenfalls lange nach der Registrierung der Kläger auf Facebook.

Der BGH bezog sich in seiner Abwägung indes auf eine Vorschrift der Datenschutz-Richtlinie, die im Wesentlichen in die DSGVO übernommen wurde. Und auch die für den BGH entscheidende Vorschrift des § 13 Abs. 6 TMG a.F. gilt in § 19 Abs. 2 TTDSG im Wesentlichen fort. Allerdings ist mit der DSGVO seit dem 25.05.2018 eine EU-Verordnung mit unmittelbarer Anwendbarkeit in Kraft. Es ist umstritten, ob neben dieser § 13 Abs. 6 TMG a.F. und jetzt auch § 19 Abs. 2 TTDSG überhaupt noch anwendbar ist.

Das OLG München hat dies verneint (Urt. v. 08.12.2020, 18 U 5493/19 Pre): Der Anwendungsvorrang der DSGVO verdränge § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. Ohne den dort verankerten Grundgedanken eines Rechts auf anonyme bzw. pseudonyme Nutzung kam das Gericht in seiner Abwägung zu überwiegenden Gründen für eine Klarnamenpflicht. Entscheidend war dafür das Interesse des Socialmedia-Anbieters, ihr eigenes Kommunikationskonzept zu verfolgen und sozialschädlichen Verhaltens im Internet präventiv entgegenzuwirken. Das OLG München ordnete dem ein höheres Gewicht zu als dem Recht des Nutzers auf informationelle Selbstbestimmung. 

Endgültig überholt ist dieser Streit auch nicht mit Erlass des TTDSG, da es im Ergebnis bei dem Streit bleibt, ob die DSGVO hier als EU-Verordnung mit Anwendungsvorrang ausgestattet ist oder aber dem nationalen Gesetzgeber Regelungsspielraum verbleibt.

Die Interessen- und Güterabwägung des BGH

In der jetzt vollständig veröffentlichten Entscheidung des BGH kommt dieser bei Abwägung der miteinander konkurrierenden Interessen pro und contra Klarnamenpflicht zu einem klaren Ergebnis: Es überwiegt das Recht des Nutzers auf pseudonyme Nutzung.

Gegen eine Klarnamenpflicht und für Facebook stellte der BGH ein, dass Facebook ein Recht auf unternehmerische, freie Gestaltung habe, auf der eigenen Plattform eigene Regeln zu setzen und dabei auch die Verwendung von Klarnamen zu verlangen. Eine Klarnamenpflicht kann etwa zu einer attraktiveren Debattenkultur und einer Vorbeugung von persönlichkeitsrechtsverletzenden und strafbaren Äußerungen beitragen.

Für ein Recht der Nutzer, unter Pseudonym aufzutreten, spricht dagegen nach der BGH-Entscheidung mehr: Ins Gewicht fallen auf Seiten der Nutzer das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, der Schutz ihrer Schutz personenbezogenen Daten und die – ebenfalls in der EU-Grundrechtecharta – garantierte Achtung des Privat- und Familienlebens.

Die Abwägung beider Seiten führt nach dem BGH zu einem differenzierten Ergebnis:

  • Im Innenverhältnis kann und darf Facebook den wahren Namen verlangen („interne Klarnamenpflicht“). Damit ist den schützenswerten Interessen des Unternehmens, seine Nutzer zu kennen, genüge getan (Identitätsfeststellung, etwa für die Störerhaftung, Regressansprüchen bei Rechtsverletzungen etc.).
  • Im Außenverhältnis aber besteht ein überwiegendes Interesse der Nutzer, auch unter Pseudonym auftreten zu dürfen: Das Interesse von Facebook an einer umfassenden Klarnamenpflicht falle hinter das Interesse der Nutzer zurück, von Dritten nicht ohne Weiteres erkannt werden zu können. Es liege ein deutlicher Unterschied darin, nur von Facebook selbst oder von jedem beliebigen Nutzer identifiziert werden zu können.

Der BGH begründet sein Ergebnis zum Außenverhältnis damit, dass es Dritten durch die Klarnamenpflicht erleichtert werde, ein detailliertes Persönlichkeitsprofil der Nutzer zu erstellen. Dazu gehöre die systematische Beobachtung von Nutzerdaten (sog. Social Media Monitoring) zu Marktforschungs- oder Marketingzwecken, die wiederrum durch Algorithmen einer besonders eingriffsintensiven Nutzung und Verwertung zugeführt werden könnten. Diese Konsequenz sei für viele Nutzer (insbesondere Minderjährige) nicht überschaubar. Die Möglichkeit, Facebook und einem Pseudonym zu nutzen, stelle einen wirksamen Schutz dar. Die Nutzer erhielten damit eine bessere Kontrolle über das Ausmaß der veröffentlichten Daten und die dich hieraus ergebenden Informationen.

Darüber hinaus könne die Möglichkeit zur Verwendung eines Pseudonyms auch dazu beitragen, dass sich im Sinne der Meinungsfreiheit auch zurückhaltende Personen Diskussionen auf Facebook beteiligen und ihre Meinung äußern, die sich das ansonsten in der Öffentlichkeit nicht trauen würden. Dies käme insbesondere verfolgten Minderheiten oder Whistleblowern zugute.

Das von Befürwortern der Klarnamenpflicht angeführte Argument, wonach Pseudonyme zu einer Absenkung der sozialen Hemmschwelle führe und Persönlichkeitsrechtsverletzungen sowie strafbare Inhalte erleichtere, treffe im Ausgangspunkt zwar zu. Jedoch sei die Reichweite eines „Zivilisierungseffekts“ durch Klarnamen mangels ausreichender empirischer Untersuchungen weiterhin unklar. Diese negativen Begleiteffekte könnten auch durch andere Besonderheiten von Kommunikation im Internet – wie etwa Unsichtbarkeit und fehlendem Blickkontakt – hervorgerufen werden.

Schließlich führe die Verwendung von Pseudonymen nicht zwangsläufig zu einer verminderten Authentizität von Facebook, da die Kommunikation unter einem Pseudonym („Nickname“) im Internet weit verbreitet sei und zu dem Aufbau „digitaler Identitäten“ führe. Zu berücksichtigen sei dabei, dass Facebook eine wichtige gesellschaftliche Kommunikationsplattform sei, deren Zugang für Teile der Bevölkerung in erheblichem Umfang über die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entscheide.

Hintergrund der Diskussion zur Klarnamenpflicht

Diese Diskussion rund um Klarnamenpflicht und digitale Inhalte wird aktuell in diversen grundlegenden Verfahren relevant. Sie steht im Kontext u.a. zu einer aktuellen BVerfG-Entscheidung im Fall Künast und den Klagen von Facebook & Co. gegen Übermittlungspflichten an das Bundeskriminalamt unter dem NetzDG:

  • Um die Frage, welche Inhalte zu löschen sind und was noch hingenommen werden muss, ging es jüngst vor dem BVerfG im Fall Künast. Das Gericht verpflichtete das KG Berlin, neu abzuwägen und mit klarerem Maßstab zu prüfen, welche Aussagen zu löschen sind (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 mit Pressemitteilung vom 02.02.2022). Ganz konkret geht es in der Angelegenheit gerade darum, dass die Betroffene vom Plattformbetreiber erfährt, wer konkret bestimmte Aussagen getätigt hat, also die Klarnamen der Verfasser, um gegen diese vorgehen zu können. Die Entscheidung wird als Sieg für den Schutz Betroffener eingestuft. 
  • Große Plattformbetreiber wehren sich aktuell gegen eine Neuregelung im NetzDG, die sie zur Herausgabe von Nutzerdaten an das Bundeskriminalamt verpflichtet – auch hier geht es mithin, aber in anderer Stoßrichtung, um Identität oder Pseudonym von Benutzern (der heise-Artikel ist hier abrufbar).

Der Artikel erschien bereits nach Bekanntwerden der Pressemitteilung und ist nach Erscheinen der Entscheidungsgründe des BGH grundlegend überarbeitet und ergänzt worden; die Autorin dankt Herrn Philipp Schoel, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Loschelder Rechtsanwälte, für die wertvolle Unterstützung bei der Aktualisierung.