Klarnamen oder Pseudonym? Plattformen wie Facebook müssen Nutzern die Wahl lassen

UPDATE: Diese Fassung des Beitrags ist überholt, da der BGH seine Entscheidungsgründe inzwischen veröffentlicht hat. Bitte besuchen Sie die aktuelle Fassung vom 17.03.2022.

Darf ein Socialmedia-Anbieter von Nutzern verlangen, sein Netzwerk ausschließlich unter Nennungen des wahren Namens zu nutzen (=Klarnamenpflicht)? Oder dürfen Socialmedia-Nutzer frei entscheiden, ob sie im Netzwerk unter einem Pseudonym auftreten? Facebook regelt in seinen Nutzungsbedingungen die Klarnamenpflicht. Das TTDSG (und vorher auch schon das TMG) regeln aber eigentlich, dass eine Nutzung unter Pseudonymen möglich sein muss. Der BGH hat sich für eine Zweiteilung ausgesprochen: Nutzer dürfen unter Pseudonym auf einer Plattform auftreten. Nur intern muss ggü. dem Plattformbetreiber – hier Facebook bzw. Meta – der richtige Name genannt werden. 

Seit langem wird über die Zulässigkeit der Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken diskutiert. Hinter der Diskussion steht die Frage, wie dem Problem der „Hass-Kriminalität“ im Netz begegnet werden soll (dazu später mehr). Das Urteil des BGH vom 27.01.2022 (Az. III ZR 3/21 und III ZR 4/21; Pressemitteilung hier abrufbar) hat nun für die Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO am 25.05.2018 geklärt: Nutzern, die sich vor diesem Zeitpunkt bei Facebook angemeldet haben, muss Facebook ermöglichen, seine Dienste unter Verwendung eines Pseudonyms zu nutzen. Zwar seien Nutzer dazu verpflichtet, gegenüber Facebook ihren richtigen Namen anzugeben. Facebook sei es jedoch zumutbar, zuzulassen, dass seine Nutzer im Netzwerk anonym auftreten können. Aus der Entscheidung können auch Hinweise zur aktuellen Rechtslage unter der DSGVO, also für alle Neuanmeldungen, abgeleitet werden. 

Sachverhalt

Geklagt hatten Facebook-Nutzer, die sich unter Verwendung eines Pseudonyms bei Facebook angemeldet hatten. Ihre Profile wurden von Facebook gesperrt, nachdem Facebook die Verwendung der Pseudonyme bekannt geworden war. Facebook begründete die Sperrung mit ihren AGB, in denen Nutzer zur Angabe ihres wahren bzw. im täglichen Leben verwendeten Namens verpflichtet werden. Die betroffenen Nutzer klagten gegen Facebook. Ihrer Ansicht nach sei die e AGB-Klausel rechtswidrig und damit unwirksam. In 1. und 2. Instanz unterlagen die Kläger im Wesentlichen. Lediglich das LG Ingolstadt entschied in erster Instanz zugunsten der dortigen Klägerin und verurteilte Facebook dazu, ihr Nutzerkonto frei zuschalten und ihr unbeschränkt Zugriff auf die Funktionen des Kontos zu gewähren, auch unter Pseudonym (Urt. v. 13.09.2019, 31 O 227/18). In der Berufungsinstanz änderte jedoch das OLG München das Urteil des Landgerichts und wies die Klage im vollem Umfang ab (Urt. v. 08.12.2020 – 18 U 2822/19 Pre).

Entscheidung des BGH

Nun entschied der BGH zugunsten der Kläger: Facebook muss ihnen ein Auftreten unter Pseudonymen erlauben. Die Entscheidungsgründe sind noch nicht verfügbar, aus der Pressemitteilung lassen sich jedoch bereits maßgebliche Erwägungen ableiten:

Worauf kam es dem BGH inhaltlich an? Die Verpflichtung des Kontoinhabers, im Netzwerk den Namen zu verwenden, den sie bzw. er auch im täglichen Leben verwendet, benachteilige den Nutzer entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen (§ 308 Abs. 1 BGB). Eine solche Klausel sei mit dem in § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. – jetzt § 19 Abs. 2 TTDSG – zum Ausdruck kommenden Gedanken, dass der Diensteanbieter die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym ermöglichen muss, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, nicht vereinbar (§ 308 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Zwar sei es Facebook nicht zumutbar gewesen, gänzlich auf die Angabe des wahren Namens im Rahmen der Registrierung zu verzichten. Jedoch sei es zumutbar, dass die Nutzung der Dienste unter Verwendung eines Pseudonyms ermöglicht wird. Dabei würdigte der BGH die wechselseitigen Interessen auch unter Beachtung des Datenschutzrechts und wog sie miteinander ab.

Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf die heutige Rechtslage?

Ob die Entscheidung des BGH auch unter der heutigen Rechtslage mit DSGVO und TTDSG gleichermaßen gilt, ist sicher erst nach Kenntnis der Entscheidungsgründe zu bewerten. 

Der BGH hielt die AGB-Regelungen, die eine Klarnamenpflicht enthielten, für unwirksam. In den beiden entschiedenen Fällen kam es dabei jeweils auf unterschiedliche Fassungen der AGB an, da jeweils die Bedingungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses – der Anmeldung zur Plattform – gelten. Diese waren hier sogar jeweils noch vor Inkrafttreten der DSGVO abgeschlossen worden, der BGH bezog sich in seiner Abwägung indes auf eine Vorschrift der Datenschutz-Richtlinie, die im Wesentlichen in die DSGVO übernommen wurde. Und auch die für den BGH entscheidende Vorschrift des § 13 Abs. 6 TMG a.F. gilt in § 19 Abs. 2 TTDSG im Wesentlichen fort. Allerdings ist mit der DSGVO sei dem 25.05.2018 eine EU-Verordnung mit unmittelbarer Anwendbarkeit in Kraft. Es ist umstritten, ob neben dieser § 13 Abs. 6 TMG a.F. und jetzt auch § 19 Abs. 2 TTDSG überhaupt noch anwendbar ist.

Das OLG München hat dies verneint (Urt. v. 08.12.2020, 18 U 5493/19 Pre): Der Anwendungsvorrang der DSGVO verdränge § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. Ohne den dort verankerten Grundgedanken eines Rechts auf anonyme bzw. pseudonyme Nutzung kam das Gericht in seiner Abwägung zu überwiegenden Gründen für eine Klarnamenpflicht. Entscheidend war dafür das Interesse des Socialmedia-Anbieters, ihr eigenes Kommunikationskonzept zu verfolgen und sozialschädlichen Verhaltens im Internet präventiv entgegenzuwirken. Das OLG München ordnete dem ein höheres Gewicht zu als dem Recht des Nutzers auf informationelle Selbstbestimmung. 

Endgültig überholt ist dieser Streit auch nicht mit Erlass des TTDSG, da es im Ergebnis bei dem Streit bleibt, ob die DSGVO hier als EU-Verordnung mit Anwendungsvorrang ausgestattet ist oder aber dem nationalen Gesetzgeber Regelungsspielraum verbleibt.

Dennoch wird die BGH-Entscheidung auch für aktuelle Fälle von höchster Relevanz sein: § 13 Abs. 6 TMG a.F. und § 19 Abs. 2 TTDSG enthalten eine Grundregel, nach der eine pseudonyme Nutzung zu ermöglichen ist. Zu diesem Ergebnis kann auch die allgemeine Abwägung der gegenläufigen Interessen für Klarnamenpflicht einerseits und für die Zulässigkeit von Pseudonymen andererseits führen. Die Entscheidungsgründe des BGH können zu dieser Frage mehr Klarheit bringen.

Hintergrund der Diskussion zur Klarnamenpflicht

Bei der Frage, ob Socialmedia-Anbieter ihren Nutzern eine anonyme bzw. pseudonyme Benutzung ihres Netzwerkes ermöglichen müssen oder nicht, geht es im Kern um das Problem des Handlings von „Hate-Speech“ im Internet und deren möglichst effektive Bekämpfung in Abwägung zum Recht auf Informationelle Selbstbestimmung der Nutzer.

Für eine Pflicht, seinen Namen öffentlich nennen zu müssen, wird argumentiert, dass Täter aufgrund fehlender Anonymität eine größere Hemmschwelle hätten, „Hass-Kommentare“ zu äußern. Zudem können Opfer effektiver gegen Täter vorgehen, die anhand des Namens identifizierbar sind. Rechtsinstrumente, die es dem Betroffenen (mit Hilfe der zuständigen Behörden) ermöglichen, herauszufinden, wer hinter einem Pseudonym steckt, gibt es (insb. § 21 Abs. 2 bis 4 TTDSG und dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz „NetzDG“). Es ist jedoch in jedem Fall schwieriger einen anonymen Täter zur Rechenschaft zu ziehen als einen Täter, der unter seinem wahren Namen agiert. Auch mag die Hemmschwelle für beleidigende, strafbare Inhalte fallen, wenn diese nicht unter dem eigenen Namen gepostet werden.

Befürworter der Anonymität im Netz argumentieren vor allem mit dem Opferschutz: Jeder Nutzer, der im Netzwerk aktiv ist und Meinungen äußert, kann Opfer eines Ansturms von „Hass-Kommentaren“ (sog. „Shitstorm“) werden. Da Socialmedia-Präsenz heute vielfach im Geschäftsverkehr als Informationsquelle für beabsichtigte Geschäftsbeziehungen genutzt wird, kann ein solcher Vorfall im Einzelfall bedeuten, dass sich ein Arbeitgeber gegen einen Bewerber entscheidet oder ein Geschäftspartner die Geschäftsbeziehung aufgibt oder ablehnt. Insofern werde auch die Meinungsfreiheit tangiert, da diese Gefahr den Einzelnen davon abhalten könnte, seine Meinung frei zu äußern. Hinzu kommt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einschließlich des Rechts, selbst zu entscheiden, wo der eigene Namen offenbart wird und wo nicht.

Diese Diskussion wird aktuell in diversen Grundlegenden Verfahren relevant. Sie steht im Kontext u.a. zu einer aktuellen BVerfG-Entscheidung im Fall Künast und den Klagen von Facebook & Co. gegen Übermittlungspflichten an das Bundeskriminalamt unter dem NetzDG:

  • Um die Frage, welche Inhalte zu löschen sind und was noch hingenommen werden muss, ging es jüngst vor dem BVerfG im Fall Künast. Das Gericht verpflichtete das KG Berlin, neu abzuwägen und mit klarerem Maßstab zu prüfen, welche Aussagen zu löschen sind (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 mit Pressemitteilung vom 02.02.2022). Ganz konkret geht es in der Angelegenheit gerade darum, dass die Betroffene vom Plattformbetreiber erfährt, wer konkret bestimmte Aussagen getätigt hat, also die Klarnamen der Verfasser, um gegen diese vorgehen zu können. Die Entscheidung wird als Sieg für den Schutz Betroffener eingestuft. 
  • Große Plattformbetreiber wehren sich aktuell gegen eine Neuregelung im NetzDG, die sie zur Herausgabe von Nutzerdaten an das Bundeskriminalamt verpflichtet – auch hier geht es mithin, aber in anderer Stoßrichtung, um Identität oder Pseudonym von Benutzern (der heise-Artikel ist hier abrufbar).