Auskunftsrecht deluxe: BVerwG zur Einsicht in Prüfungsarbeiten (und zum Kopiebegriff)

Der Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO verleiht Prüflingen im Staatsexamen nach einer aktuellen Entscheidung des BVerwG unabhängig von der Möglichkeit zur Klausureinsicht einen Anspruch auf Überlassung einer unentgeltlichen Kopie der angefertigten Aufsichtsarbeiten nebst Prüfergutachten. Für Prüflinge ermöglich das einen erheblichen (Erkenntnis-) Gewinn und viele ehemaligen Prüflinge werden angesichts der eigenen Erfahrungen mit den Einsichtnahmemöglichkeiten hier sicherlich intuitiv zustimmen. Es gibt aber, wie so oft, eine 2. Seite der Medaille. Das BVerwG legt einen weiten Kopie-Begriff zugrunde, entwickelt aus einem weiten Verständnis personenbezogener Daten: Jeder Fingerstrich der Prüflinge ist ein Datum, auf sie bezogen, und daher sind alle angefertigten Arbeiten nebst Korrekturen als „Kopie“ (unentgeltlich) herauszugeben. Übertragen auf Unternehmen bedeutet dies bei Auskunftsersuchen mitunter einen ganz erheblichen Aufwand …

Die Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruches aus Art. 15 DSGVO ist immer wieder Gegenstand kontrovers geführter Diskussionen in Rechtsprechung und Literatur (siehe dazu auch unsere Blog-Beiträge hier und hier).

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat nun eine Entscheidung getroffen, die viele Prüfungsabsolventen freuen dürfte: Art. 15 DSGVO verleiht Prüflingen einen Anspruch auf Überlassung einer unentgeltlichen Kopie der angefertigten Prüfungsarbeiten samt Prüfergutachten.

Hintergrund

Ein Absolvent des 2. Staatsexamens aus Nordrhein-Westfalen hatte bereits 2018 von dem zuständigen Landesjustizprüfungsamt (LJPA) in Düsseldorf die Zurverfügungstellung der angefertigten Klausuren mitsamt Prüfergutachten verlangt. Die Klausuren und deren Bewertungen seien ihm über die vom LJPA zugewiesene Kennziffer zuzuordnen und stellten damit personenbezogene Daten dar. Diese personenbezogenen Daten würden vom LJPA verarbeitet und seien daher vom Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO umfasst. Konsequenterweise hieße das, dass die Klausuren samt Prüfergutachten zur Verfügung zu stellen seien – und zwar als unentgeltliche Kopie (Art. 15 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 5 S. 1 DSGVO).

Das LJPA NRW teilte diese Ansicht nicht und wollte die angeforderten Kopien nur gegen eine Gebühr von 69,70 Euro herausgeben. Begründet wurde die Ablehnung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruches insbesondere damit, dass der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO nicht eröffnet sei, da die in den Klausurbearbeitungen enthaltenen personenbezogenen Daten weder ganz noch teilweise automatisiert verarbeitet würden und auch keine Daten darstellen würden, die in einem Dateisystem gespeichert werden (nur dann ist nach Art. 2 Abs. 1 DSGVO der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO eröffnet).

Sowohl das VG Gelsenkirchen als auch das OVG Münster sahen indes in 1. und 2. Instanz bereits die Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs gegeben und sprachen dem Prüfling die Anspruch auf eine unentgeltliche Kopie der Klausuren mitsamt Prüfergutachten zu. Das hat das BVerwG jetzt im Ergebnis bestätigt.

DSGVO auf Prüfungsleistungen anwendbar?

Im Prozessverlauf hatte das LJPA weiter argumentiert, dass sich der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch nicht auf die Zurverfügungstellung sämtlicher Klausuren samt Prüfergutachten erstrecke, sondern allenfalls auf die komprimierte und verständliche Mitteilung über den Namen und die Kennziffer des Prüflings sowie auf weitere Einzelangaben wie etwa das Datum und den Ort der Prüfung oder die Note, mit der die einzelnen Aufsichtsarbeiten jeweils bewertet worden seien. Die angeforderten Dokumente beträfen zudem insgesamt 348 Seiten, weshalb der Auskunftsanspruch exzessiv und damit ausgeschlossen sei (Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO). Würde jeder Prüfling eine kostenlose Kopie seiner Klausuren verlangen dürfen, seien die personellen und sachlichen Ressourcen des LJPA überbeansprucht und eine ordnungsgemäße Abwicklung des Prüfungsverfahrens gefährdet. Letztlich bestehe auch nach dem Juristenausbildungsgesetz NRW ein Recht zur Einsichtnahme in die Klausuren. Insofern existiere also eine Spezialvorschrift, die nach dem landesrechtlichen Datenschutzgesetz (§ 5 Abs. 8 S. 1 DSG NRW) den Anwendungsbereich von Art. 15 DSGVO ausschließe.

Das BVerwG teilte nun jedoch die Ansicht der Vorinstanzen und gab dem Prüfling Recht: Die schriftlichen Prüfungsleistungen in einer berufsbezogenen Prüfung und die dazugehörigen Anmerkungen der Prüfer stellen personenbezogene Daten dar und sind vom Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO erfasst. Der Anspruch erstreckt sich auf die Überlassung einer unentgeltlichen Kopie dieser Prüfungsunterlagen (Art. 12 Abs. 5 S. 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 3 S. 2 DSGVO).

Prüfungsleistungen als personenbezogene Daten

Das BVerwG bezieht sich in seiner Entscheidung auf ein EuGH Urteil aus dem Jahr 2017, das noch zu der Datenschutzrichtlinie ergangen ist, die der DSGVO vorausging. Dort hatte der EuGH zu dem im Wesentlichen inhaltsgleichen Begriff der personenbezogenen Daten entschieden, dass hierunter potentiell alle Arten von Informationen fallen, z. B. in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, wenn es sich um Informationen „über“ die in Rede stehende Person handelt.

Die im Rahmen des zweiten juristischen Staatsexamens angefertigten Prüfungsarbeiten erfüllten diese Voraussetzungen, da sie – Wort für Wort – Informationen über die Leistungen des Prüflings enthielten. Da die Prüfung unter Zuweisung einer Kennziffer durchgeführt wird, handelt es sich bei den Prüfungsleistungen um pseudonymisierte Daten, die durch das LJPA zweifelsfrei einem Prüfling zuzuordnen werden könne. Insofern liegt auch eine teilweise automatisierte Datenverarbeitung seitens des LJPA vor, denn die Klausuren werden zwar in Papierform in der Akte des jeweiligen Prüflings aufbewahrt – ihr Auffinden und die Zuordnung zu der dahinterstehenden natürlichen Person erfolgt aber über die elektronische Datenverarbeitung mittels der jeweiligen Kennziffer.

Keine Ausschlussgründe

Die Geltendmachung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruches war auch nicht als exzessiv zu bewerten: Der beim LJPA verursachte Aufwand, insgesamt 348 Seiten zu kopieren und herauszugeben, ist nach Ansicht des BVerwG als vergleichsweise gering zu qualifizieren. Auch ändert ein spezialgesetzliches Akteneinsichtsrecht nichts am Bestehen des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DSGVO. Der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch besteht unabhängig von anderen Ansprüchen und Möglichkeiten, Prüfungsarbeiten und Bewertungen einzusehen.

Team Datenschutz