Neue EU-Innovationsagenda: Vorreiter in Sachen Digitalisierung und Innovation?

Dringende gesellschaftliche Herausforderungen gibt es weltweit genügend. Lösungen sollen in vielen Bereichen technologieintensive Innovationen bieten. Dazu müssen Innovationen, die beispielsweise zur Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und zur Bewältigung des digitalen Wandels beitragen, jedoch zunächst entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Mit der neuen EU-Innovationsagenda möchte die EU-Kommission Europa als Vorreiter technologieintensiver Innovationen positionieren, dessen Entwicklungen die Welt inspirieren. In diesem Beitrag stellen wir Ihnen vor, mit welchem Maßnahmenkatalog die EU-Kommission dieses Ziel erreichen möchte.

Europa als Vorreiter der neuen Welle technologieintensiver Innovationen – das ist das Ziel der am 05.07.2022 angenommenen neuen europäischen Innovationsagenda (COM(2022) 332 final) der EU-Kommission. Europa biete für diese Rolle die besten Voraussetzungen, so die EU-Kommission. Technologieintensive Innovation erfordere (natur) wissenschaftliche und technologische Forschung höchster Qualität, eine starke industrielle Basis, ein wachsendes „Start-up-Ökosystem“, Rahmenbedingungen, die Innovation im Binnenmarkt fördert, sowie hervorragend ausgebildete Talente und die entsprechenden Bildungseinrichtungen (COM(2022) 332 final, 1.; Pressemitteilung vom 05.07.2022). Diese Stärken Europas zu nutzen – dazu soll die neue Agenda beitragen.

Das zukünftige Ausmaß des europäischen Wohlstandes, seine Wettbewerbsfähigkeit und politische Macht hängt entscheidend davon ab, inwiefern es gelingt, Innovationen auf europäischem Boden voranzutreiben. Es gilt, innovative Lösungen für weltweite gesellschaftliche Herausforderungen (z.B. Klimawandel, Cyberbedrohungen, Ernährungssicherheit) zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Die neue EU-Innovationsagenda soll dazu dienen, „die Entwicklung und Ausweitung von Innovationen in der gesamten Union durch ein kohärentes Maßnahmenpaket zu beschleunigen“ (Pressemitteilung vom 05.07.2022).

Welche EU-Initiativen und -Investitionen sind geplant?

Die Agenda enthält 25 Maßnahmen (am Ende der Mitteilung tabellarisch gelistet), die in fünf Leitinitiativen untergliedert sind. Diese sind:

  1. Besserer Zugang zu Finanzmitteln für europäische Start-ups und Scale-ups im Bereich technologieintensiver Innovationen

Ziel ist es, Start-ups und Scale-ups dabei zu unterstützen, die für das (schnellere) Wachstum erforderlichen finanziellen Mittel zu erhalten. Dafür sollen einerseits bisher ungenutzte Quellen privaten Kapitals mobilisiert werden, beispielsweise durch einen Freibetrag für die Körperschaftssteuer, der die Eigenkapitalfinanzierung fördern soll, oder durch die Erhöhung der Investitionskapazität eines Risikokapitalfonds, angeregt durch entsprechende EU-Maßnahmen. Andererseits sollen die Anforderungen an die Börsennotierung für bestimmte Unternehmen vereinfacht werden, damit die Kosten der Börsennotierung geringer ausfallen und EU-Unternehmen von der Verlagerung ihres Standorts über die Grenzen Europas hinaus absehen. Zusätzlich sollen Gleichstellung und Vielfalt des Start-up- und Scale-Up-Unternehmertums gefördert werden (COM(2022) 332 final, 2.1.).

  • Bessere (rechtliche) Rahmenbedingungen für technologieintensive Innovationen

Ziel ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Innovationen fördern und nicht blockieren. Als innovationsfördernd werden insbesondere experimentelle Regulierungskonzepte, wie Reallabore und Experimentierklauseln, Testumgebungen und „Living Labs“, erachtet. Die Nutzung dieser Konzepte soll vereinfacht und unterstützt werden. Dazu plant die EU-Kommission u.a. einen Leitfaden zu Reallaboren, bei denen in kontrollierten, abgegrenzten physischen oder digitalen Umgebungen mit neuen Technologien experimentiert werden kann, ohne dass diese zwingend mit dem aktuellen Rechtsrahmen vereinbar sein müssen (vgl. zu den Begrifflichkeiten: Ernst & Young Law GmbH, Endbericht für das BMWi, 29.09.2021, S. 5; BMWi, Reallabore als Testräume für Innovation und Regulierung, 10.12.20218; Rat der Europäischen Union, Dokument 13026/20, 16.11.2020). Des Weiteren sollen offene Testumgebungen für Innovationen im Bereich erneuerbaren Wasserstoffs sowie Test- und Versuchseinrichtungen für Innovation durch künstliche Intelligenz geschaffen werden.

Zusätzlich soll die Vergabe öffentlicher Aufträge zunehmend innovationsfördernd wirken. Der rechtliche Rahmen für staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation soll angepasst werden. Ein spezialisierter Beratungsdienst soll künftig zwischen öffentlichen Auftraggebern und innovativen Anbietern vermitteln (COM(2022) 332 final, 2.2.).

  • Stärkung europäischer Innovationssysteme und Überwindung des Innovationsgefälles in der EU

Ziel ist es, die Innovationsakteure in der EU zu stärken und anzuregen, dass sich diese besser miteinander vernetzen und kooperieren. Auch weniger entwickelte Regionen sollen eingebunden und unterstützt werden, sodass das Innovationsgefälle verringert, ihr brachliegendes Potenzial genutzt und damit Leistung und Zusammenhalt in der EU insgesamt gefördert wird. Leitidee dieser Initiative ist: Umso mehr Akteure gemeinsam und überregional an Lösungen arbeiten, desto effizienter werden Investitionen genutzt und schneller brauchbare Ergebnisse erzielt.

Zentrales Instrument hierfür sind zielgerichtete Investitionen. Fördergelder werden u.a. in interregionale Kooperationsprojekte sog. „regionaler Innovationstäler“ (insgesamt 170 Mio. Euro), die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft zur alternativen, erneuerbaren Energiegewinnung (Aufstockung um 200 Mio. Euro für sog. „Wasserstofftälern“) und die Entwicklung und Produktion von Halbleitertechnologien und -anwendungen (43 Mrd. Euro zur Unterstützung der Ziele des Chip-Gesetzes) fließen. Darüber hinaus sollen mit der Initiative „ScaleUp 100“ hundert technologieintensive Start-ups eine besondere Förderung erhalten. Zur Vernetzung der Akteure der Innovationssysteme soll die Plattform „Innospace“ beitragen, die als zentrale Anlaufstelle funktionieren soll (COM(2022) 332 final, 2.3.). 

  • Förderung, Anwerbung und Bindung von Talenten im technologieintensiven Bereich

Ziel ist es, mit hochwertiger Bildung und attraktiven Arbeitsbedingungen talentierte Personen auszubilden, außerhalb von Europa anzuwerben und Kompetenzen langfristig zu binden. U.a. angedacht sind ein Talentpool der EU und eine Arbeitsgruppe, die prüft, wie Hindernisse abgebaut werden können, die derzeit die Inanspruchnahme von Aktienoptionen für Start-up-Mitarbeiter einschränken (COM(2022) 332 final, 2.4.)

  • Bessere politische Instrumente in der Innovationspolitik

Ziel ist es, wirkungsvolle Innovationspolitik zu betreiben, „die mit dem sich wandelnden Charakter der Innovation Schritt“ hält (COM(2022) 332 final, 2.5.1.).

Dafür sollen gemeinsame Definitionen wichtiger Begriffe (Start-up, Scale-up etc.) festgelegt werden, solide und vergleichbare Datensätze entwickelt und genutzt werden und die Mitgliedstaaten bei Gestaltung und Umsetzung von Innovationsstrategien unterstützt werden. Zudem soll die Rolle des Europäischer Innovationsrats gestärkt werden, damit er verstärkt zur politischen Koordinierung auf EU-Ebene beitragen kann (COM(2022) 332 final, 2.5.).

Bis wann werden die Maßnahmen umgesetzt?

Für jede der 25 Maßnahmen gibt die EU-Kommission einen Zeitrahmen für die Umsetzung vor (siehe tabellarische Liste am Ende der Mitteilung). Bis Ende 2025 sollen alle Maßnahmen der Agenda umgesetzt sein. Einzelne Maßnahmen wurden bereits auf den Weg gebracht. So hat die Kommission bereits im Mai 2022 den Vorschlag einer Richtlinie über einen Freibetrag als Anreiz gegen eine Bevorzugung der Fremd- gegenüber der Eigenkapitalfinanzierung (DEBRA) veröffentlicht, der zur Nutzung von Eigenkapital mobilisieren soll. Bis Ende diesen Jahres sollen neun weitere Maßnahmen der Agenda umgesetzt werden. 

Die Autorin dankt Frau Julia Esser, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Loschelder, für ihre wertvolle Unterstützung bei der Ausarbeitung dieses Beitrags.