„Digitale Rechtsanwälte“: Wann ist LegalTech ohne Anwalt zulässig?

Der Anbieter einer Software, die automatisiert Verträge erstellt, erbringt keine Rechtsdienstleistung: Dies hat der BGH zu einem digitalen Vertragsgenerator jüngst entschieden, der Anwendung „Smartlaw“ von Wolters Kluwer. Der Vertragsgenerator sei einer Formularsammlung eher vergleichbar als der Tätigkeit eines Rechtsanwalts.

Diese und vergleichbarer Anwendungen sind zunehmend leistungsstark und digitalisieren juristische Tätigkeiten (Legal Tech). Immer wieder stellt sich dabei die Frage, welche dieser Tätigkeiten auch in digitalisierter Form Rechtsanwälten vorbehalten bleiben. Dies regelt das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), das die „Erbringung von Rechtsdienstleistungen“ unserem Berufsstand vorbehält. Wird eine Rechtsdienstleistung entgegen der Vorgaben des RDG von Nicht-Anwälten erbracht, obwohl diese Tätigkeit Rechtsanwälten vorbehalten ist, ist der dazu geschlossene Vertrag nichtig. 

Allerding ist nicht jedes Handling von Gesetzen direkt eine Rechtsdienstleistung. Der BGH hat dies jüngst überzeugend für den Vertragsgenerator „Smartlaw“ bestätigt und einen Verstoß gegen das RDG verneint: Die automatisierte Vertragserstellung muss nicht durch Rechtsanwälte erfolgen. Wir ordnen die Entscheidung ein in die aktuelle, dynamische Entwicklung der LegalTech-Anwendungen und diesbezüglichen Rechtsprechung.

1.         Was der BGH entschieden hat

Der BGH hat jüngst entschieden, dass das softwarebasierte Erstellen von Verträgen keine unerlaubte Rechtsdienstleistung i.S.d. §§ 2 Abs. 1, 3 RDG darstellt. Streitgegenständlich war der Vertragsgenerator „Smartlaw“ von Wolters Kluwer. Dieser generiert anhand eines Frage-Antwort-Katalogs aus einer Sammlung von Textbausteinen Vertragsklauseln, die zu einem Vertragsentwurf zusammengestellt werden. Dabei arbeitet die Software mit Multiple-Choice-Fragen, die mithilfe eines Algorithmus in Vertragsklauseln übersetzt werden. Darin sah die Klägerin, die Rechtsanwaltskammer Hamburg, einen wettbewerbswidrigen Verstoß gegen das RDG.  

Das LG Köln hatte in 1. Instanz einen Verstoß gegen das RDG sogar noch bestätigt. Das OLG Köln (Urt. v. 19.06.2020, Az. I-6 U 263/19) und nun auch der BGH  (BGH, Urt. v. 09.09.2021, Az. I ZR 113/20; seit dem 01.10.2021 sind die Entscheidungsgründe verfügbar) sahen dies überzeugend anders: Ein derartiger Vertragsgenerator ist keine „Rechtsdienstleistung“, die Rechtsanwälten vorbehalten wäre. 

UPDATE: Spannend ist die Aussage des BGH in seinen Entscheidungsgründen, dass auch eine Software eine Rechtsdienstleistung erbringen kann. Ausdrücklich heißt es in den Entscheidungsgründen, dass der Gesetzgeber beim Erlass des Rechtsdienstleistungsgesetzes zwar die Tätigkeit einer natürlichen oder juristischen Person vor Augen hatte. Darauf ist die „Rechtsdienstleistung“ aber nicht beschränkt. Es ist nämlich unerheblich, mit welchen technischen Mitteln die Person arbeitet. Kurzum: Erbringt eine Software „Leistungen“, wird LegalTech von Nutzern eingesetzt, kann auch diese Software eine Rechtsdienstleistung „erbringen“. Programmierung, Bereitstellung und Verwendung einer Software sind als einheitliche Tätigkeit anzusehen.

Entscheidend für das Ergebnis des BGH war, dass der Vertragsgenerator eher mit einem „Formularhandbuch“ vergleichbar ist als mit einer rechtsanwaltlichen Tätigkeit. Der Anwender könne sie dann nutzen, um Dokumente anhand von Vorgaben zu erstellen. Damit würde der Anbieter gerade nicht in einer konkreten Angelegenheit des Nutzers im Einzelfall tätig. Er stellt vielmehr lediglich die allgemein anwendbare Software auf Grundlage von „denkbar typischen Sachverhaltskonstellationen“ zur Verfügung. 

Genau dies ist die entscheidende Weichenstellung, die eine Rechtsdienstleistung von allgemeinen Hilfestellungen, die nicht dem Vorbehalt des RDG unterfallen, abgrenzt: Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald diese eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Schon nach der älteren Rechtsprechung ist genau zu prüfen, ob tatsächlich eine konkrete fremde Angelegenheit in Rede steht und eine Einzelfallprüfung mit juristischem Sachverstand erfolgt.  

Die in „Smartlaw“ verwendeten standarisierten Vertragsklauseln sind nach Ansicht des BGH aber gerade nicht geeignet, die individuellen Verhältnisse des Nutzers zu berücksichtigen, da sie eben standardisiert und „vorbereitet“ sind. Somit gäbe es gerade keine rechtliche Prüfung im Einzelfall. Vergleichbar sei die Anwendung mit einem Formularhandbuch, das ebenfalls nicht den konkreten Fall des Anwenders berücksichtigen könne. Die Nutzer seien auch in der Lage zu erkennen, dass sie keine rechtliche Prüfung ihres konkreten Falls erhalten.

UPDATE: Die Entscheidungsgründe des BGH enthalten eine Reihe von Anhaltspunkten, die auch für die künftige Einordnung helfen, ob eine Software – LegalTech – eine Rechtsdienstleistung erbringt und ihr Einsatz daher Rechtsanwälten vorbehalten bleibt oder nicht. Hervorzuheben sind etwa:

  • Individuelle Unterstützung bei der Anwendung der Software ist regelmäßig keine Rechtsdienstleistung.
  • Gegen eine Rechtsdienstleistung spricht, wenn weder individuelle Rückfragen von Nutzern zu den Besonderheiten des tatsächlichen Sachverhalts noch Anpassungen für über den Standardfall hinausgehende Umstände des Einzelfalls vorgesehen sind.
  • Gegen eine Rechtsdienstleistung spricht auch, wenn der Nutzer aufgrund der erkennbaren Arbeitsweise keine auf seinen persönlichen Fall ausgerichtete Rechtsberatung erwartet.

In der Sache überzeugt die Argumentation: Die Software ist als solche gerade keine „Tätigkeit“ eines Dienstleisters im konkreten Einzelfall, sondern für eine Vielzahl von Anwendungsfällen auf abstrakter Ebene programmiert. Ein individuelles Ergebnis kann nur der Anwender erzielen, der die Software nutzt.

2.         Stringente Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung?

Insgesamt setzt sich die Rechtsprechung zunehmend detailliert mit der Frage auseinander, wann softwaregestützte Dienstleistungen „Rechtsdienstleistungen“ i.S.d. § 2 RDG und damit i.d.R. Rechtsanwälten vorbehalten sind. Zu einem reinen LegalTech-Modul wie „Smartlaw“ gab es bislang indes keine derart klare Aussage eines Obergerichts.

Entscheidungen sind zuletzt insbesondere zu sog. Inkassodienstleistungen ergangen. Angesprochen sind damit Sachverhalte, in denen ein beauftragter Dritter, ein Inkassounternehmen, die Schulden aus offenen Rechnungen für seine Kunden geltend macht und damit für diese das Forderungsmanagement übernimmt. 

Für diese Dienstleistungen enthält das RDG in § 2 Abs. 2 eine Sonderregelung: „Rechtsdienstleistung ist, unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1, die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird (Inkassodienstleistung)“. Derartige Inkassodienstleistungen sind nicht Rechtsanwälten vorbehalten, sondern sie können gem. § 10 RDG von zugelassenen Dienstleistern erbracht werden.

Die Rechtsprechung hierzu dreht sich daher nur bedingt um den Begriff der „Rechtsdienstleistung“, sondern fokussiert vielmehr auf die Reichweite von Inkassodienstleistungen. 

Der BGH hat unter dieser Regelung im vergangenen Jahr über den Betrieb der Internetseite „www.wenigermiete.de“ entschieden. Dort wird softwarebasiert eine Berechnung der örtlichen Vergleichsmiete angeboten. Wenn der eigene Mietpreis unzulässig über der örtlichen Vergleichsmiete liegt, kann der Websitenutzer dem Anbieter den Auftrag erteilen, im zustehende Ansprüche im Zusammenhang mit der sog. Mietpreisbremse gegen den Vermieter gelten zu machen. 

Auch mit Relevanz für LegalTech-Anwendungen außerhalb des Inkassobereichs hat der BGH hierzu entschieden, dass der Begriff der Inkassodienstleistung nicht zu eng zu verstehen ist (jüngst etwa Urt. v. 27.05.2020, Az. VIII ZR 31/19 m.w.N.). Dies liegt im Einklang mit der Tendenz der aktuellen Rechtsprechung zu „Smartlaw“, LegalTech-Anwendungen zunehmend zu erlauben und auch anderen Anbietern als Rechtsanwälten eine Tätigkeit dann zu erlauben, wenn die konkrete Prüfung im Einzelfall mit entsprechendem Sachverstand eines Rechtsanwalts nicht erforderlich ist: Die Inkassodienstleistungen im Kontext der Mietpreisbremse umfasst nach Ansicht des BGH alle damit einhergehenden Tätigkeiten, neben Auskunft auch die Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs und eine etwaige Feststellung, dass die Miete zu hoch ist. 

Die Vorinstanz hatte das noch anders, enger, gesehen. Im Übrigen ist die zunehmend umfangreiche Rechtsprechung zu Inkassodienstleistungen von Besonderheiten in diesem Bereich geprägt, der vorliegend nicht vertieft werden soll.

Was die Individualisierungsleistung anbelangt, so bietet sich zudem ein Vergleich zur intensiver diskutierten Materie der Datenschutzbeauftragten an: Bei diesen wird jedenfalls die Beratung mit Unterstützung beim Lösen konkreter datenschutzrechtlicher Herausforderungen einschließlich eigener Umsetzungsvorschläge regelmäßig als Rechtsdienstleistung angesehen (vgl. insb. Paal/Nabulsi, NJW 2019, 3673, 3675). Weitere Tätigkeiten, etwa die Unterrichtung und allgemeine Information, die Überwachung von Zuständigkeiten und allgemein gehaltenen internen Strategiehinweise werden dagegen bei differenzierter Betrachtung nicht als Rechtsdienstleistung eingeordnet (vgl. insb. Paal/Nabulsi, NJW 2019, 3673, 3675; vgl. differenziert auch Baumert, AnwBl Online 2019, 749, 750 f.). Hier bietet sich ein Vergleich zur aktuellen Entscheidung des BGH in Sachen Smartlaw an: Hier wie dort kommt es gerade nicht auf die konkrete Einzelfallprüfung an, sondern weitergegeben werden abstrakte, allgemeine Informationen, die dann erst vom Anwender und nicht vom Anbieter auf den konkreten Einzelfall bezogen werden.

3.         Ausblick

Die BGH-Entscheidung in Sachen Smartlaw ist richtungsweisend für die Erlaubnis von LegalTech-Anwendungen außerhalb der rechtsanwaltlichen Tätigkeit: Wenn die Softwareanwendung allgemein gehalten ist, fehlt es an der Beratung im Einzelfall und damit an einer Rechtsdienstleistung. Eine solche Software kann damit ohne Verstoß gegen das RDG auch von Nicht-Anwälten angeboten werden. Dies ist für die Anwender dann auch regelmäßig klar erkennbar.

Steht eine LegalTech-Anwendung zur Überprüfung an, ist auch künftig sehr präzise und konturiert zu prüfen, ob diese allgemein gehalten ist oder aber gem. § 2 Abs. 1 RDG selbst eine Beratung im konkreten Einzelfall bewirkt, etwa durch implementierte KI. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche Erwartung beim Anwender ausgelöst wird. Nur, wenn eine konkrete Einzelfallprüfung mit hinreichender Komplexität in Rede steht, greift der Schutzzweck des RDG, solche Tätigkeiten den Rechtsanwälten vorzubehalten. 

In diesen Fällen hat das RDG mit seinem Schutzzweck, Rechtsberatung und -verteidigung unserem Berufsstand aufgrund der besonderen Befähigung und auch der spezifischen Berufsordnung vorzubehalten, nach wie vor seine Daseinsberechtigung und wird diese auch in Zukunft noch haben. 

Ob die BGH-Entscheidung in der Praxis bei der konkreten Beantwortung der Prüffrage, wann eine Rechtsdienstleistung bei softwarebasierten Anwendungen vorliegt und wann nicht, auch im Detail helfen wird, kann sicher erst nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe eingeschätzt werden. Nur, wenn dies der Fall ist, bringt die Entscheidung auch mehr Rechtssicherheit für LegalTech-Anbieter.