Braucht bald jede Website eigene Nutzungsbedingungen?

Ab dem 1. Januar 2022 gelten neue Regeln für das Digitale Vertragsrecht: Das Bezahlen mit Daten wird dem Bezahlen eines Geldbetrages gleichgestellt. Wenn Nutzer beim Websitebesuch Marketing-Cookies und anderen Tracking-Technologien zustimmen, bezahlen sie dann ihren Websitebesuch mit ihren Daten und schließen einen Vertrag über den Websitebesuch ab?

Wenn dies stimmt und jeder Websitebesuch mit „Cookie Consent“ ab dem 1. Januar 2022 vom Nutzer mit seinen Daten im Rechtssinn bezahlt wird, hat dies für Websitebetreiber erhebliche Folgen: Es werden dann massenhaft Verträge geschlossen, jeden Tag mit jedem Besucher der eigenen Website. Für diese Verträge gilt dann das gesamte Verbraucherschutzrecht mit umfangreichen Informationspflichten, die Leistung „Website“ muss mangelfrei bereitgestellt werden, Nutzer könnten dies u.a. über Nacherfüllungs- und Schadensersatzansprüche einfordern. Das alles gilt dann direkt aus dem Gesetz heraus. Ist dies der Fall, sollten Websitebetreiber über Nutzungsbedingungen nachdenken: Damit können sie die Erwartungshaltung der Nutzer und ihre Ansprüche strukturieren und, bei guter Gestaltung, Mängelansprüchen vorbeugen.

Kurzum: Werden beim Websitebesuch Verträge geschlossen, sollten Nutzungsbedingungen für die Websites erstellt werden.

Aber: Schließen Websitebetreiber und Nutzer wirklich einen Vertrag, wenn in die Cookie-Nutzung eingewilligt wird?

Die Neuregelungen

Sehen wir uns dazu die Neuregelungen im Detail an:

Ab dem 1. Januar 2022 gilt: Wenn ein Verbraucher personenbezogene Daten von sich einem Unternehmen bereitstellt und diese Daten nicht für die eigentliche Leistungserbringung erforderlich sind, dann ist das so, als würde er einen Geldbetrag als Preis für die Leistung zahlen (§ 312 Abs. 1a, § 327 Abs. 3 BGB).

Führt damit jede datenschutzrechtliche Einwilligung in eine Datenverarbeitung zu einem Vertragsschluss? Schließen Anbieter und Nutzer künftig also rechtsverbindliche Verträge ab, wenn Interessierte einen Newsletter abonnieren und dabei auch eine Erfolgsmessung akzeptieren, wenn Gamer eine Spiele-App herunterladen, bei der sie personalisierte Werbeeinblendungen ansehen, anstatt einen Geldbetrag zu zahlen, oder eben wenn Nutzer eine Website besuchen und den Cookie-Banner über „Alle akzeptieren“ (schnell weg-) klicken?

In all diesen Fällen stellen die Nutzer (regelmäßig als Verbraucher) dem Anbieter, einem Unternehmen, ihre personenbezogenen Daten für die weitere Verarbeitung bereit. In all diesen Fällen werden die jeweiligen Daten nicht benötigt, um die eigentliche Leistung zu erbringen:

  • Für den Newsletterversand benötigt der Unternehmer nur die E-Mail-Adresse, die Erfolgsmessung (Klickzahlen, Lesezeiten usw.) ermöglicht ihm die Produktoptimierung.
  • Für die Bereitstellung der Spiele-App benötigt der Anbieter keine Informationen über die Nutzerinteressen. Diese werden genutzt, um passgenaue Werbeplätze zu vermarkten und die Spiele-App so zu refinanzieren.
  • Für die technische Bereitstellung einer Website werden keine Marketing-Cookies und entsprechende Tracking-Technologien benötigt. Diese nutzt der Websitebetreiber, um personalisierte Werbeplätze auf seiner Website zu vermarkten, um auf anderen Plattformen zielgerichtet für seine Produkte zu werben, gegenüber Nutzern, die an diesen Produkten auch potentiell interessiert sind, oder um seine eigene Website zu verbessern.

Damit sind die Grundvoraussetzungen für ein „Bezahlen mit Daten“ nach den neuen gesetzlichen Regelungen erfüllt: Der Verbraucher stellt dem Unternehmen personenbezogene Daten von sich bereit, die das Unternehmen für die eigentliche Leistungserbringung nicht braucht.

Vertragsschluss nach allgemeinem Recht

Ob dabei aber auch gleichzeitig ein Vertrag geschlossen wird, ist damit noch nicht entschieden. Dies richtet sich laut dem neuen Gesetz nach den „allgemeinen Regeln“. Diese allgemeinen Regeln finden sich im Allgemeinen Teil des BGB, konkret in §§ 133, 157 BGB: Entscheidend ist danach, ob Anbieter und Nutzer übereinstimmende Willenserklärungen abgeben, die darauf gerichtet sind, einen Vertrag über die Nutzung einer konkreten Website abzuschließen. Dies ist nur dann der Fall, wenn beide Parteien auch mit Rechtsbindungswillen handeln, also dem Willen, eine rechtliche Bindung einzugehen.

Besteht ein solcher rechtlicher Bindungswille, wenn ein Nutzer eine Website besucht? Im Erstsemester Jura wird die Frage nach dem Rechtsbindungswillen regelmäßig am Beispiel einer öffentlichen Versteigerung illustriert: Gebote werden dort per Handzeichen abgegeben, das Handzeichen zum höchsten Gebot gewinnt und ersteigert das angebotene Bild. Der Besucher, der die Hand hebt, um seinen Freund zu grüßen, will aber nicht das Gemälde ersteigern. Ihm persönlich fehlt der Rechtsbindungswille, obwohl das Handzeichen auf einer Versteigerung bekanntlich als Gebot gewertet wird. Dies hätte er wissen müssen, objektiv erscheint das Handzeichen daher als Erklärung mit Rechtsbindungswillen („ich biete auf das versteigerte Produkt“), der Vertrag wird geschlossen (ist aber u.U. anfechtbar, dies ist aber ein anderes Thema).

Vertragsschluss mit „Consent-Klick“?

Wie sieht es aber beim Websitebesuch aus? Will der Nutzer „nur mal schauen“ oder aber rechtsverbindlich handeln? Was gilt für den Websitebetreiber? Die Verfasser der neuen Regelungen im BGB meinen: Im Internet wird mit Rechtsbindungswille gesurft. Nutzer und Websiteanbieter schließen regelmäßig einen Vertrag. Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegründung aus:

„Der Verbraucher vertraut typischerweise auf die Richtigkeit der Angaben des Unternehmers und macht sie häufig zur Grundlage eigener Handlungen und Dispositionen. Für die Annahme eines Vertragsschlusses könnte beispielsweise sprechen, dass der Unternehmer den Dienst oder die Leistung erbringt, weil er den Verbraucher motivieren will, auf seiner Seite weitere Webseitenaufrufe zu tätigen oder Dienste oder Leistungen in Anspruch zu nehmen, weil er Einnahmen für auf seiner Seite dargestellte Werbung erzielen will, deren Höhe in aller Regel von den Zugriffszahlen abhängt, oder weil er mit dem Einsatz von Tracking-Technologien und der nachfolgenden Anzeige personalisierter Werbung wirtschaftliche Vorteile anstrebt.“

BR-Drs. 60/21, S. 40 Hervorh. d. Verf.

Differenzierung nach Website-Typ

Dies bedeutet zu Recht, dass die Frage nach dem Vertragsschluss nicht allgemein für jede Art von Website bejaht werden kann. Es kommt vielmehr darauf an:

Beim Surfen im WWW mit schnellem Klick auf „Alle akzeptieren“ wird den meisten Nutzern der Rechtsbindungswille, hier einen Vertrag über den Konsum der Website abzuschließen, fehlen. Auch der Websitebetreiber will nicht mit jedem Besucher seiner Website kontrahieren und sich dazu verbindlich verpflichten, einzelne Inhalte mangelfrei bereitzustellen.

Dies entspricht auch nicht dem allgemeinen Verständnis der einschlägigen Vorschriften aus dem BGB AT: Allgemein wird ein Rechtsbindungswille oft dort unterstellt, wo eine Leistung mit besonderen Risiken für den Empfänger verbunden ist. Der vertragliche Schutz erscheint dort notwendig, z.B. bei einer Fahrgemeinschaft angesichts der Risiken im Straßenverkehr. Eine Analogie zu diesen Fällen besonders risikogeneigter Gefälligkeiten, in denen ein Rechtsbindungswille unterstellt wird, passt hier aber nicht: Der Besuch der Website selbst bringt weder für den Nutzer, noch für den Betreiber besondere Risiken. Solche können nur für den Nutzer wohl nur hinsichtlich seiner personenbezogenen Daten entstehen, die für Tracking-Maßnahmen erhoben und weiterverarbeitet werden. Das damit verbundene Risiko aber wird durch das Datenschutz- und ePrivacy-Recht bereits umfassend adressiert. Hier bedarf es für den Schutz der Websitebesucher keines Vertragsschlusses.

Anderes kann aber dort gelten, wo Nutzer und Anbieter sehr bewusst Websiteinhalte als „Leistung“ bereitstellen, für deren Ansichten der Nutzer bezahlt (und bezahlen muss, da die entsprechenden Inhalte sonst nicht bereitgestellt werden könnten, da sie nicht finanzierbar wären). Beinahe ein „Paradebeispiel“ sind die Wahlmodelle großer Zeitungshäuser, etwa beim Spiegel, der ZEIT oder der Süddeutschen Zeitung: Wollen Nutzer die journalistischen Inhalte der Seiten konsumieren, müssen sie sich entscheiden. Entweder, sie akzeptieren diverse Tracking-Tools für personalisierte Werbeanzeigen – die Zeitungshäuser können die journalistischen Inhalte dann über die Vermarktung der Werbeplätze refinanzieren – oder aber der Nutzer zahlt einen Geldbetrag für die Ansicht der Zeitungsinhalte. In einem solchen Modell dürfte bei Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont auf beiden Seiten auch die Erwartung bestehen, dass für die Zahlung – mit Geld oder Daten – die Zeitungsinhalte dann auch bereitgestellt werden. Auf einer schlichten Website mit Darstellung eines Unternehmens aber wird eine solche Erwartung regelmäßig nicht bestehen: Besuchen Sie www.loschelder.de und erfahren dort wider Erwarten nichts über die bei uns tätigen Rechtsanwälte, werden Sie unsere Website enttäuscht verlassen. Einen „Erfüllungsanspruch“ auf Darstellung aussagekräftiger Anwaltsprofile aber werden Sie wohl kaum einklagen wollen, selbst wenn wir – was nicht der Fall ist – Sie vor Besuch unserer Website nach einer Werbeeinwilligung gefragt hätten.

Die von den Entwurfsverfassern des neuen Gesetzes angelegte, weite Auslegung des Vertragsschlusses ist im Gesetzgebungsverfahren denn auch schon auf intensive Kritik gestoßen, etwa vom Branchenverband Bitkom.

Wie sich diese Diskussion entwickelt, bleibt abzuwarten – Rechtssicherheit werden wohl erst Gerichtsentscheidungen bringen, die frühestens in einigen Jahren kommen werden.

Was also tun als Websitebetreiber?

Was ist also die Quintessenz aus dem Ausflug in die Untiefen des „BGB AT“ und den grundlegenden Fragen des Vertragsschlusses, den die Juristen unter uns noch aus den Erstsemestern in guter (oder auch schlechter) Erinnerung haben?

Der Besuch einiger Websites wird spätestens ab dem 1. Januar 2022 in einen Vertragsschluss zwischen Websitebetreiber und Nutzer münden. Diese Websites sind gut beraten, den Erwartungshorizont ihrer Nutzer durch Nutzungsbedingungen zu steuern und Mängelansprüchen etc. so vorzugreifen. Dieses Erfordernis gilt am ehesten für Websites, bei denen dem Nutzer bestimmte Inhalte bereitgestellt werden, an deren Erhalt der Nutzer ein gesteigertes Interesse hat und bei denen objektiv erwartbar ist, dass dafür etwas bezahlt werden muss – seien es Geld oder eben Daten.

Bei Websites mit reiner Darstellung eines Unternehmens oder eines Produktes, das außerhalb des WWW konsumiert wird, gilt dies nicht gleichermaßen: Hier sprechen aus meiner Sicht gute Gründe gegen einen Vertragsschluss. Ob sich diese Gründe durchsetzen oder nicht, bleibt abzuwarten.

Wenn beim Websitebesuch ein Vertrag abgeschlossen wird, bei dem der Besucher mit seinen Daten bezahlt, werden künftig nicht nur Nutzungsbedingungen benötigt: Einzuhalten sind dann auch sämtliche Informationspflichten des Verbraucherschutzrechtes, etwa über die Leistungsspezifikationen (Art. 246 EGBGB). Die Cookie-Banner müssen dann umgestaltet und durch weitere Informationen angereichert werden. Verstöße können abgemahnt und auch durch die Verbraucherschutzverbände geahndet werden.

Zum weiteren Diskurs über die Notwendigkeit von Nutzungsbedingungen und die inhaltlichen Gestaltungsanforderungen melden Sie sich gerne!

Mehr zu alledem lesen Sie auch in unserem Praxisleitfaden Digitale Angebote, der im Januar im Beck Verlag erscheint:

https://www.beck-shop.de/digitale-angebote/product/32378694