Das „berechtigte Interesse“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f DSGVO ist weit auszulegen. Dies hat der EuGH nun bestätigt. Im Fall des niederländischen Tennisverbands entschied das Gericht, dass auch rein wirtschaftliche Interessen „berechtigte Interessen“ sein können. Für die Praxis ist das von großer Bedeutung.
Der Fall
Im Jahr 2018 legte der niederländische Tennisverband KNLTB gegenüber zwei Sponsoren, darunter dem größten Anbieter von Glücks- und Kasinospielen in den Niederlanden, personenbezogene Daten seiner Mitglieder offen. Für die Bereitstellung der betreffenden personenbezogenen Daten erhielt der KNLTB von seinen Sponsoren ein Entgelt. Der KNLTB stellte die Namen, Anschriften und Wohnorte seiner Mitglieder für den postalischen Versand eines Werbebriefs bereit. Außerdem legte der KNLTB Geburtsdaten, Festnetznummern, Mobiltelefonnummern und E‑Mail-Adressen seiner Mitglieder sowie die Namen der Tennisclubs offen, denen diese Mitglieder angehörten. Zweck dieser Bereitstellung war eine Telefonwerbemaßnahme. Auf Beschwerden einiger Mitglieder stellte die niederländische Aufsichtsbehörde fest, dass für die Weitergabe der personenbezogenen Daten keine Rechtsgrundlage bestanden habe. Ein berechtigtes Interesse i.S.v. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f DSGVO des Tennisverbands habe nicht vorgelegen. Der niederländische Tennisverband klagte gegen diese Entscheidung und das zuständige Bezirksgericht Amsterdam legte dem EuGH die Frage vor, ob auch rein wirtschaftliche Interessen ein „berechtigtes Interesse“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1lit. f DSGVO darstellen.
„Berechtigtes Interesse“ muss nicht gesetzlich geregelt und kann rein wirtschaftlich sein
Hierauf antwortet der EuGH zunächst mit der Feststellung, dass der Begriff des „berechtigten Interesses“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f DSGVO nicht auf gesetzlich verankerte und bestimmte Interessen beschränkt ist (EuGH, Urteil vom 04.10.2024 – C‑621/22). Dies ergebe sich aus Erwägungsgrund 47 der DSGVO. Das „berechtigte Interesse“ müsse allerdings rechtmäßig sein. Sodann führt der EuGH aus, dass auch ein wirtschaftliches Interesse ein „berechtigtes Interesse“ darstellen könne, sofern es nicht gesetzeswidrig ist. In diesem Fall müsse der Verantwortliche aber allen anderen ihm obliegenden Pflichten aus der DSGVO nachkommen, damit die Wahrnehmung dieses Interesses eine Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. f DSGVO rechtfertigen kann.
Strenge Anforderungen an Erforderlichkeit und Interessenabwägung
Zugleich betont der EuGH jedoch, dass an die zweite und dritte Stufe der Rechtmäßigkeitsprüfung bei einer Datenverarbeitung aufgrund eines „berechtigten Interesses“ (namentlich Erforderlichkeit und Interessenabwägung) hohe Anforderungen zu stellen sind. Insbesondere sei für den niederländischen Tennisverband im vorliegenden Fall als milderes Mittel in Betracht gekommen, seine Mitglieder im Voraus zu informieren und sie zu fragen, ob sie möchten, dass ihre Daten für Werbe- oder Marketingzwecke an Dritte weitergegeben werden. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zudem zu berücksichtigen, ob die Mitglieder zum Zeitpunkt der Erhebung ihrer personenbezogenen Daten zum Zweck des Beitritts zu einem Tennisverein vernünftigerweise absehen konnten, dass diese Daten gegen Entgelt für Werbe- und Marketingzwecke gegenüber Dritten, im vorliegenden Fall Sponsoren des KNLTB, offengelegt werden. Auch der Umstand, an wen die Daten übermittelt werden, sei zu berücksichtigen. So würden durch die Übermittlung an Anbieter von Glücks- und Kasinospielen Mitglieder der Gefahr der Entwicklung einer Spielsucht ausgesetzt.
„Berechtigtes Interesse“ als Türöffner – Feintuning über Stufen 2 und 3
Das Urteil zeigt, dass das „berechtigte Interesse“ als Türöffner für die Rechtmäßigkeitsprüfung einer Datenverarbeitung zu verstehen und als solcher weit auszulegen ist. Dass auch rein wirtschaftliche Interessen dem Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO unterfallen, stellt für Unternehmen eine begrüßenswerte Entwicklung dar. Die eigentliche Rechtmäßigkeitsprüfung erfolgt indes auf zweiter und dritter Stufe der Erforderlichkeit bzw. Interessenabwägung. Und die hieran zu stellenden Anforderungen sind durchaus hoch, wie der EuGH im vorliegenden Fall noch einmal unterstrichen hat.
Neue EDSA-Leitlinien Das berechtigte Interesse als Erlaubnisgrundlage ist derzeit auch Gegenstand neuer EDSA-Leitlinien 1/2024, die noch bis Ende November konsultiert wird.